Geschichte: Freier Fall


 Freier Fall
Buch:
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Autor:
 Svesve
Datum:
 11.05.2014 10:01

Die Schule hatte kein Ende nehmen wollen. Mr. Red hatte die Stunde sogar noch überzogen, weil er so gerne fertig philosophieren wollte. Insgeheim wusste ich, dass er nicht Mathelehrer hatte werden wollen, sondern Philosoph. Doch er war nicht durch die Abschlusstests des Studiums gekommen. Jetzt war er hier, nutzte aber die Hälfte der Zeit, um über die Grenzen der Mathematik zu fantasieren. Immer wieder betonte er, dass es in der mathematischen Wissenschaft keine festen Grenzen gebe.
Am logischsten sei es, dass die Wissenschaft, wie er sein Fach nannte, mit Physik und Chemie verfliesse, doch sei es möglich, dass sie im weitesten Sinn sogar etwas mit Psychologie und Sprache gemeinsam hätte.
Unser Lehrer hatte die typische Ausstrahlung eines Künstlers oder Träumers. Er schien das Leben als seltsamen Traum anzusehen, der ihn in seinen Bann zog. In der Klasse spotteten alle über ihn, wegen seines lustigen Gangs, seiner Hornbrille, den wenigen, krausen, roten Haaren und seinem zerknitterten Anzug. Ich aber hatte Mitleid mit ihm, denn er war einfach so in sich selbst versunken und hatte noch nicht mal eine Frau.

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„Mensch, Tiffany, du könntest dich schon etwas beeilen. Wir wollen uns doch noch treffen. Weshalb musst du nur immer so langsam deine Hausaufgaben machen?“, rief mir Laura aus dem Telefon entgegen. „Weil nicht alle so hochbegabt sind wie du. Mathe ist eben doof, blöd und schwer. Nerv` jetzt nicht rum, dann bin ich schneller fertig“, sagte ich wütend.

Dann knallte ich den Hörer auf die Gabel, ohne mich zu verabschieden.
Ich gab wie immer mein Bestes in Mathe, doch ich kapierte nichts. Um mich abzulenken, holte ich ein altes, zerfleddertes Buch aus dem Regal. „Der Kolibri“ hiess es und handelte von einer jungen Frau, deren einziger Freund ein Kolibri war. Als dieser starb, war die Frau am Boden zerstört und starb im nächsten Jahr an gebrochenem Herzen. Es war schon seit jeher mein Lieblingsbuch, denn die Tatsache, dass Mensch und Tier so eng befreundet sein konnten, hatte mich schon immer fasziniert. Ich wollte es gerade aufschlagen, als ein kleines Stück Papier herausfiel, ich hob es auf, es war ein Foto. Darauf war ein Mädchen zu sehen, das strahlend in die Kamera lächelte. Seine krausen, blonden Haare wippten erwartungsvoll und die blauen Augen leuchteten. Die Züge des Mädchens glichen meinen. Sofort standen mir die Tränen in den Augen. Monica. Wie sehr ich sie vermisste.

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Laura war entsprechend wütend am nächsten Morgen, weil ich sie versetzt hatte.
Ich entschuldigte mich in aller Form bei ihr, versuchte ihr zu erklären, dass ich gestern, nachdem ich das Foto gesehen hatte, keine Kraft mehr gehabt hatte, mich mit ihr zu treffen. Doch da meine Freundin nicht besonders taktvoll war, liess sie mich einfach stehen und ging. Ich seufzte. Dieses Mädchen, das aus reichem Hause kam und nie mit Problemen in Verbindung gekommen war, hatte mich nie getröstet, als ich vor zwei Jahren nur noch an Monica denken konnte. Manchmal fragte ich mich, warum ich ihr treu geblieben war, doch die Trauer hatte mich so kaputt gemacht, dass ausser Laura niemand mehr mit mir reden wollte. So war ich bei ihr geblieben, doch eigentlich war ich trotz ihrer Präsenz sehr einsam.

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Nach der Schule trottete ich müde nach Hause. Ein paar Tage nach dem „Unfall“ hatte mein Vater uns, anstatt uns zu unterstützen, verlassen. So bewohnte ich ein riesiges Haus mit meiner Mutter, die seit damals kaum ansprechbar war, darum war ich fast immer allein. Ich vertrieb mir die Zeit damit, meinen Vater und Monica zu vermissen, zu heulen oder zu malen. Nur das Malen konnte mich aufheitern. Gerade heute hatte ich Monica als Engel gezeichnet.

 Re: Freier Fall
Autor:
 lynggs (Profil)
Datum:
 01.06.2014 09:15
Bewertung:
 

wer erzählt hier, eine Schülerin oder ein Schüler?

 Re: Freier Fall
Autor:
 cherry
Datum:
 08.02.2015 19:51
Bewertung:
 

Ich finde die Geschichte sehr nah an der Realität. Sie ist sehr traurig und einsam geschrieben, was auch der Inhalt des Textes ausdrückt. Ich finde es schön.