Geschichte: Die Lilie- 4. Kapitel


 Die Lilie- 4. Kapitel
Buch:
  Die Lilie
Autor:
 Camaro (Profil)
Datum:
 26.06.2014 19:58

Belohnung

Zwei Tage später, ihr Fuß war wieder in Ordnung, huschte die Lilie durch die Straßen der Stadt. Ihr Ziel war wieder einmal die Burg. Allerdings war sie dieses Mal der eigene Auftraggeber.
Sie schlich durch die Nebengassen. Ein Schatten in der Dämmerung.
Ich hätte mich auch an dem Tunnelsystem bedienen können, dachte das Mädchen. Sie hatte dieses Wagnis aber nicht eingehen wollen.
Wobei Wagnis es nicht wirklich beschrieb. Die Tunnel wurden ausschließlich von den Dieben genutzt. Sah man sie, wüsste innerhalb von einer guten Stunde die gesamte Vereinigung der Diebe, dass sie aus dem Kerker geflohen war und auf dem Weg zur Burg gesichtet worden war. Dadurch würden nur Gerüchte entstehen.
Du machst jetzt keinen Rückzug! Du hast dich dazu entschieden und machst es auch jetzt!, ermahnte sich das Mädchen. Die Lilie hatte sich für diesen Abend fest vorgenommen, sich ihre verdiente Belohnung zu holen.
Als das Mädchen an der Burg ankam, beobachtete sie den Wachwechsel. Jetzt lag es an ihr, die beiden Männer weg zu locken, so dass sie in die Burg konnte.
Das Mädchen, es trug wie üblich seinen grauen Umhang, schlich sich so nah wie möglich an die Wachmänner heran. Dann nahm es einen Kieselstein aus der Manteltasche und warf diesen in ein Gebüsch genau gegenüber von sich. Die Wachen schreckten hoch und starrten in Richtung Gebüsch.
"Was war das?", fragte der eine der Männer.
"Woher soll ich das denn wissen?", antwortete der andere.
Die Lilie schüttelte nur spöttisch mit dem Kopf und schlich sich durch das Tor in den Burghof. Unbemerkt gelang es ihr diesen zu durchqueren. Sie schlich über die freie Fläche und atmete angekommen auf der anderen Seite erleichtert auf.
Keine zwei Minuten später stand sie im Arbeitszimmer des Barons und durchsuchte den Schreibtisch. Sie riss eine Schublade nach der anderen auf und fand schließlich, wonach sie gesucht hatte.
Eine kleine Kiste mit Goldtalern darin.
Genau das, was ich gesucht habe!, dachte die Lilie. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus.
Sie nahm die Kiste heraus und stellte diese auf den Schreibtisch. Das Mädchen nahm sich acht Taler heraus und stellte die Kiste geöffnet hin, sodass man die Lilie, die sie hinein gelegt hatte, gut sehen konnte. Dann schrieb sie einen Brief an den Baron:

Sehr geehrter Herr Baron,
ich konnte allein aus dem Kerker fliehen, wie Euch schon aufgefallen sein sollte. Aus diesem Grund nahm ich mir die Freiheit mir meine Belohnung selbst zu besorgen. Da Ihr mich nicht freilassen musstet, nahm ich die anfänglich ausgemachte Belohnung von acht Talern.
Hochachtungsvoll
Die Lilie

Diesen Brief legte sie unter die Lilie.
Mit den Talern in der Tasche machte das Mädchen sich auf den Weg aus der Burg herunter.
Das hätten wir schon mal geschafft, dachte es erleichtert und schlich die Treppe herunter. Plötzlich hörte die Lilie Schritte hinter sich - Schritte und Stimmen, die sich näherten. Blitzschnell drückte sie sich gegen die Wand.
Drei Männer gingen noch nicht einmal eine halbe Armlänge von ihr entfernt vorbei.
Einer von ihnen ist zweifellos Bastian, dachte das Mädchen und verfluchte sein Pech.
"Glaubt mir, wir werden das schon schaffen. Bald wird die Lilie sich wieder in unseren Kerkern befinden ..."
Er spricht auf jeden Fall von mir. Wenn ich herausfinde, was sie planen, bin ich gewarnt. Dann werde ich in keine Falle laufen. Aber wenn sie mich jetzt entdecken, bringen mir diese Informationen nicht mehr viel.
Nachdem sie das Für und Wider abgewogen hatte, entschied sie sich dazu den drei Männern zu folgen.
"Aber Bastian, wie sollen wir das schaffen? Ich meine, sie ist uns sogar entwischt, obwohl sie hier im Kerker war", gab einer der Männer zu bedenken.
"Das sagt genau der Richtige!", schnaubte der Dritte im Bunde.
"Genau, schließlich warst du derjenige, der während seiner Wache vor der Zelle der Lilie eingeschlafen ist", stimmte Bastian zu.
Bei genaueren Betrachten des einen Mannes, erkannte das Mädchen nun diesen. Tatsächlich. Dies war der Mann, der vor der Zelle geschlafen hatte, als sie geflohen war.
"Die große Frage ist, wie wir die Lilie wieder fangen", brachte der andere Mann sie wieder zum ursprünglichen Thema zurück.
Warum eigentlich immer ich! Es gibt in dieser Stadt durch aus auch noch andere Diebe!, fragte die Lilie sich aufgebracht.
"Zuerst müssen wir ihren Standort ausmachen. Dann versuchen wir sie in eine Falle zu locken."
So, genug gelauscht. Ich habe genug erfahren.
"Wann wurde das letzte Opfer gefunden? Und vor allem, wo?", fragte Bastian.
Was haben irgendwelche Opfer mit mir zu tun?, fragte die Lilie sich verwirrt. Plötzlich trat sie gegen einen losen Stein auf dem Boden. Dieser Stein rollte durch den Gang und verursachte dabei ein Klackern.
Die Lilie erstarrte.

Plötzlich ertönte hinter Bastian ein Geräusch und ihm war es, als hätte er einen Schatten gesehen.
"Habt ihr das gesehen?", fragte er seine Gefährten.
"Was sollten wir denn gesehen haben, Bastian?", fragte Flavio, die Wache, die vor der Zelle der Lilie eingeschlafen war.
"Da war gerade ein Schatten! Wenn ich es nicht besser wüste, würde ich denken, dass das vom Profil her die Lilie war", antwortete Bastian.
"Bastian du bist so drauf fixiert, die Lilie zu fangen, dass du schon halluzinierst!", stellt der dritte im Bund, der übrigens Tobias hieß, fest.
"Wenn du meinst!", sagte Bastian zweifelnd und ging weiter. Er wand sich mit einem skeptischen Blick über seine Schulter ab.

Hinter dem kleinem Vorsprung der Wand hörte man ein erleichtertes Aufatmen.
Glück gehabt!, dachte die Lilie. Eigentlich sollte ich jetzt gehen, aber das Gespräch nimmt gerade eine interessante Wendung. Wenn ich Bastian weiß machen könnte, dass ich in bestimmten Situationen eine Halluzination bin, wäre es überaus praktisch ... Leider würde das nicht funktionieren.
Zu dem Entschluss gekommen, dass das Belauschen des Gespräches ihr irgendwann helfen könnte, folgte sie den Männern.
Wenn ich jetzt gehe, verpasse ich den besten Teil des Gespräches. Viel mehr den Aufschlussreichsten.
"Eigentlich verhindern nur dein Vater eine organisierte Hetzjagd auf die Lilie", sagte Flavio. Sehr aufschlussreich, anscheinend ist der liebe Baron doch nicht ganz so treulos, wie gedacht.
"Ich weiß, aber Vater denkt, dass er dies nicht zu lassen kann, da er der immer noch in der Schuld der Lilie steht."
Ob der Baron immer noch so denkt, wenn er die Lilie in der Kiste findet?, fragte sich die Lilie.
"Aber der Baron ist schwer krank. Sein Alter macht ihm zusätzlich zur Krankheit zu schaffen", gab Tobias zu bedenken.
"Ja, ich denke, dein Vater wird den nächsten Vollmond nicht mehr sehen", stimmte Flavio leise zu.
Bastian senkte betroffen den Kopf.
Auch wenn ich ihn nicht mag, tut er mir leid. Allerdings weiß ich auch nicht, wie es ist, eine sehr wichtige Person zu verlieren, dachte die Lilie. Doch du weißt wie es ist, verraten zu werden, flüsterte eine Stimme in ihrem Inneren.
"Entschuldige, ich wollte nicht ...", fing Flavio an, doch Bastian fiel ihm ins Wort.
"Ist schon gut. Ich wusste so oder so, dass mein Vater nicht mehr allzu lange zu leben hat."
"Wer wird der Nachfolger? Du oder...?", fragte Tobias. Er wurde allerdings von Bastian unterbrochen.
"Ich weiß es nicht. Vater hat sich noch nicht dazu geäußert."
"Du fällst uns heute ständig ins Wort! Hat dir denn niemand beigebracht, dass dies unhöflich ist?", tadelte der ältere Tobias.
"Ich weiß auch nicht. Seitdem die Lilie aus dem Kerker geflohen und Vater erkrankt ist, bin ich einfach gereizt", entschuldigte Bastian sich.
"Vielleicht solltest du dich in den Burghof begeben und im Schwertkampf üben", schlug Flavio vor.
"Du hast Recht", stimmte Bastian zu.
"Aber Flavio, wir müssten erst eine der Wachen oder einen Ritter finden, der bereit ist gegen dich an zu treten", sagte Tobias.
Eigentlich wollte ich schon längst nicht mehr hier sein, aber wenn sie jemanden suchen, der gegen Bastian kämpft, könnte ich mich melden. Auf diese Weise kann ich herausfinden, wie Bastian kämpft und das könnte mir einmal das Leben retten, dachte die Lilie.
Das Mädchen trat aus dem Schatten. Unter dem gewohnten grauen Mantel trug es wie immer Männerkleidung, aber ausnahmsweise einen Hut, der ihre langen Haare verdeckte.
"Ich würde mich zur Verfügung stellen", sagte sie mit verstellter Stimme.
Jetzt ist es offiziell. Ich bin tatsächlich verrückt geworden, dachte es noch.
Aber jetzt war es zu spät.

"Wer seid Ihr?", fragte Bastian erstaunt.
Ja, es muss für die Herren ein Schock sein, herauszufinden, dass ihre Burg doch nicht so sicher ist, wie vermutet, dachte die Lilie schadenfroh.
"Und vor allem, was habt Ihr hier vor und wie seid Ihr hierhergekommen?", fragte Bastian misstrauisch.
"Was ich hier möchte, habe ich Euch bereits mitgeteilt", sagte die Lilie. "Wie ich hierhergekommen bin, ist mein Geheimnis und wer ich bin? Mein Name ist Lirosch."

Keine zehn Minuten später, stand die Lilie Bastian gegenüber auf dem Burghof, ein stumpfes Übungsschwert in ihrer Hand.
Wie habe ich mich eigentlich schon wieder in dieser Situation gebracht?, fragte das Mädchen sich.
Alle glaubten, sie wäre ein Mann, die Lilie hatte sich in einem kleinen Raum auf den Kampf vorbereiten dürfen und sich das Haar so raffiniert hoch gesteckt, dass es jetzt so aussah, als hätte sie Schulter lange Locken. Jetzt würde man sie hoffentlich für einen etwas feminin wirkenden, jungen Ritter halten. Den Mantel hatte sie abgelegt.
"Bereit?", fragte Tobias, der sich kurzerhand selbst zum Schiedsrichter ernannt hatte.
Beide, der Sohn des Barons und die Tochter eines toten Schuhmachers nickten.
"Dann beginnt. Derjenige, der zuerst sein Schwert an den Gegner verliert, hat den Kampf verloren."
Kaum waren die Worte verklungen, begannen Bastian und die Lilie sich zu umkreisen und die Stärke des jeweils anderen abzuschätzen.
Die Lilie war sich sicher, dass sie verlieren und enttarnt werden würde und dachte: Wieso wollte ich noch einmal gegen Bastian kämpfen? Ach ja, ich wollte herausfinden, wie er kämpft. Wenn er mich nicht erkennt, kann mir auch nichts passieren.
Wer auch immer dieser Lirosch ist, sehr kräftig scheint er mir nicht zu sein, dachte Bastian abschätzend.
Keiner der beiden wollte derjenige sein, der zuerst angriff. Als sie dies begriffen, blieben sie stehen.
Was auch immer dies für eine Taktik ist, damit wird er nicht weit kommen!, dachte Bastian zornig. Dass sein Gegner ihn noch nicht von alleine - wie gewohnt - angriff, musste er sich auch noch selber darum kümmern.
Bastian machte einen seitlichen Ausfall, der Lilie wich ihm seitwärts aus, Band seine Klinge und riss ihre eigene zuerst hinunter und dann nach oben. Er befreite sein Schwert und zog sich blitzschnell zurück.
Der ist ja doch besser, als gedacht, stellte Bastian respektvoll fest.
In einem Versuch, Lirosch zur bloßen Abwehr zu zwingen, brachte Bastian eine Serie von harten Hieben an. Doch die Lilie tauchte jedes Mal weg und veranlasste ihn, sich ständig zu drehen. Als er taumelte, schnellte sie vorwärts, doch sie hatte nicht mit seiner blitzschnellen Abwehr gerechnet. Bastian riss sein Schwert hoch und wehrte so ihren versuchten Angriff, der ihn im richtigen Kampf hatte töten können, ab.
Ab diesem Moment verwandelte sich der - bis jetzt geordnete - Zweikampf, in ein wildes Durcheinander von zwei Personen, zwei wirbelnden Schwertern und zwei eisern entschlossenen Willen.
Bastians ruhiges Gesicht stand im Gegensatz zu seiner zustoßenden Klinge. Die Lilie wehrte nur ab, kämpfte überlegt, verteidigte sich und lauerte auf einen Fehler auf Bastians Seite.
Als dieser für einen kurzen Moment aus dem Gleichgewicht kam, nutzte sie ihre Chance. Die Lilie brachte blitzschnell einen seitenverkehrten Halbmondschlag an, den seine Klinge erst in letzter Sekunde auffing. Sie biss die Zähne zusammen und leitete sofort zu einem gewöhnlichen Halbmondschlag über.
Als Bastian sein Schwert hob, um den Schlag zu parieren, fuhr ihre Klinge zu einem senkrechten Schmetterlingsschlag herunter, so schnell, dass man das Übungsschwert nicht mit den Augen verfolgen konnte.
Das Geräusch von knirschendem Metall ließ nicht nur die beiden Kämpfer, sondern auch alle Zuschauer, die interessiert den Kampf beobachteten, zusammen zucken.
Die Klingen der Schwerter hatten sich miteinander verflochten.
"Unentschieden", beschloss Tobias.
Bastian und die Lilie starrten verblüfft auf die ineinander verdrehten Schwerter. Dann hob Bastian den Blick und betrachtete das Gesicht von "Lirosch".
Wenn er mich nicht gerade beinahe besiegt hätte, würde ich ihn, zumindest seinem Aussehen nach, für ein Mädchen halten, dachte er.
Dann trafen sich ihre Blicke und Bastian schaute in die grünen Augen der Lilie oder sollte man eher Lirosch sagen?
Warum hat er dieselben Augen wie die Lilie?, fragte Bastian sich.
Den Applaus von allen Seiten nahm niemand der Beiden wahr.
"Super Kampf", sagte die Lilie.
Da sieht man mal, dass ich mir bis zu unserem nächsten Zusammentreffen meinen wehrten Cousin nach etwas Nachhilfe fragen sollte. Unentschieden reicht nicht!, dachte die Lilie.
"Ebenfalls", gab Bastian widerstrebend zu.
"Danke für den Kampf, ich schätze, ich muss weiter. Ich habe ein wichtiges Treffen mit meinem Cousin", erklärte die Lilie.
Wichtig ist es allemal, schließlich kann es mir das Leben retten.
"Auf Wiedersehen", verabschiedete sie sich.
Sie verließ die Burg und dachte: Ich könnte ihn ja schocken. Soll ich das? Ja.
Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus.
Als sie gerade durch das Tor hinaus war, löste sie die Klammer, die ihre Haare gehalten hatte und ihre Locken fielen ihr den Rücken herunter.
Sie drehte sich halb, so dass Bastian ihre Silhouette sehen konnte.
Im Burghof zog Bastian bei diesem Anblick tief die Luft ein.
Wie ist sie in die Burg gekommen? Was hatte sie hier zu suchen? Wieso wollte sie diesen Kampf?, schoss ihm durch den Kopf.
Eigentlich wäre jetzt ein geeigneter Moment gewesen, die Wache auf die Lilie zu hetzen, doch er war einfach zu geschockt.

 Re: Die Lilie- 4. Kapitel
Autor:
 Rolf (Profil)
Datum:
 10.07.2014 08:47
Bewertung:
 

Sollte ich mal zum Lesen kommen, weirde ich das dann auch bewerten, freue mich aber schon darauf, wies der 'Lilie' ergeht!

 Re: Die Lilie- 4. Kapitel
Autor:
 Mary-Margret
Datum:
 14.07.2014 15:31
Bewertung:
 

Packende Geschichte,
wenn auch der Stil nicht ganz in diese Zeit passt. Was ich komisch finde ist, wie eine Wache in dem Fall Flavio mit einem Sohn eines Barons umgeht, fast kumpelhaft? Ich weiss nicht wie es anderen geht, aber ich kann mir unter diesen Fechtbegriffen (Schmetterlingshieb, seitenverkehrten Halbmondschlag usw.) nur schwer etwas vorstellen. Ich hoffe, du nimmst meine Kritik nicht allzu ernst, du hast nämlich gute Einfälle! :bravo: