Geschichte: Der Zug Teil VI.


 Der Zug Teil VI.
Buch:
  Ein Zug in zwei Richtungen
Autor:
 Mary-Margret
Datum:
 13.08.2014 14:45

Dann konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Möglicherweise hatte mich das Pferd abgeworfen oder ich war selbst wie in Trance abgestiegen. Mein Hauslehrer hatte mir erzählt das in Zuständen grosser Schmerzen oder Panik der Körper das Denken übernimmt. Ein uralter Überlebensmechanismus, hatte er gesagt. Damals schien es mir natürlich unwichtig und hinterliess einen primitiven Nachgeschmack, jetzt aber bin ich dankbar. Ich lag auf der Erde. Schmerzen jagten wie Blitze durch meinen Knöchel. Meine Augen waren geöffnet, trotzdem sah ich nichts. Ich bin blind. Furcht hätte ich verspüren sollen. Und wenn schon nicht das, dann wenigstens Wut. Doch jenes blieb ebenso aus. Meine Gedanken bewegten sich als würden sie durch Hönig wandern. Daher verstrich eine Weile bis ich begriff, dass der Grund meiner Erblindung bloss die hereingebrochene Nacht war. Und noch eine Stunde verrann, als mir klar würde: Wenn ich liegen bleibe, werde ich vermutlich sterben. Jeder andere wäre bei diesen Gedanken aufgeschreckt. Mich beschäftigte die Frage, ob ich überhaupt leben wollte? In diesen trübsinnigen Moment hörte ich Stimmen. Sie klangen fremd und hallten magisch in meinen Kopf nach. Mit einem Mal schwebte ich in der Luft. Das ist ein Wunder, sagte ein unzurechnungsfähiges Stimmchen in meinem Kopf. Jäh verstummte es als mein Körper auf etwas Hartes geworfen wurde. Schliesslich verlor ich erneut die Besinnung.
Ich träumte, meiner Grossmutter zwinge mich scheusslich schmeckend Tee zu trinken. Während der ganzen Träumerei redete ich auf sie ein und sie gab mir keine Antwort. Manchmal verschwand ihr Gesichte und ein Mann trat an ihre Stelle. „Wer sind Sie? Wo ist meine Grossmutter?“, fragte ich immer und immer wieder. Aber er blieb wie Mrs. Bell schweigsam. Irgendwann konnte ich nicht an mich halten und griff nach Grossmamas Kragen. Ich zog sie nahe an mein Gesicht heran. Verzweifelt schrie ich: „Bitte! Hilf mir, bring mich fort. Ich will nach Hause. Rede mit mir!“ Sie sah mich still an. Wütend schüttelte ich die alte Frau. Ich begann zu flehen und wimmerte. „Warum tust du mir das an?“ „Ich…Ich helfe ihnen! Seien Sie ruhig und trinken Sie!“ Das war nicht der strenge, hohe Klang meiner Grossmutter. Eine Flüssigkeit berührte meine Lippen. Kopfschüttelnd presste ich den Mund zusammen. „Nein, nein, ich will nicht trinken!“ Meine verkrampften Finger liessen den Stoff los. Eine Hand drückte meine Nase zu. Einem Karpfen gleich schnappte ich nach Luft. Warme Flüssigkeit füllte meinen Mund. Instinktiv schluckte ich. „Grossmama, verzeiht ihr mir?“, murmelte ich. Ja, mein Kind. Ihre weiche Hand strich über mein Haar.
Mir war übel, als ich erwachte. Ich schlug die mit Stroh gefüllte Decke zurück und torkelte durch die fremde Hütte, die ich kaum war nahm. An der Tür flutete Sonnenlicht mir entgegen. Beinahe wäre ich gestürzt. Mühsam schleppte ich meinen geschwächten Laib zu einem dürren Gebüsch, wo ich mich übergab. Träge wischte ich mit dem Handrücken den Mund ab. „Guten Morgen, Miss.“, ich dreht den Kopf. Ein mir wage bekannter Mann lehnte an der Veranda der Hütte. „Guten Morgen“, erwiderte ich den Gruss perplex. Der Mann musterte mich und schloss: „Sie sehen furchtbar aus.“ Ich hatte mich gefasst. „So etwas unhöfliches, sagen Sie zu einer Dame, Sir?“ Er zückte mit den Achseln und meinte frech: „Ich sehe keine Dame, nur ein schmutziges Mädchen!“ Ich sah an mir herab. Entsetzt fiel mir auf, ich trug lediglich meine verschwitzte Unterwäsche. Wie ich ihn hasse.



2 mal bearbeitet. Zuletzt am 18.08.14 08:58.

 Re: Der Zug Teil VI.
Autor:
 lynggs (Profil)
Datum:
 17.08.2014 18:06
Bewertung:
 

gute Fortsetzung
Was bedeutet deine Bemerkung "Stimmt von Federica de cesco zu George R. R. Martin" ??

Mit "Tros" meinst du wohl "Trance"

 Re: Der Zug Teil VI.
Autor:
 Mary-Margret
Datum:
 18.08.2014 08:57
Bewertung:
 

Danke, Tros werde ich ändern. Auf deine Frage hin, was mit von Frederica de cesco zu George R. R. Martin gemeint ist:
De Cesco schreibt Jugendromane über die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Ernst, aber im Grunde fantastisch. Martin jedoch ist bekannt für seinen harten Realismus, den ich sehr bewundere. Seine Geschichten sind nahe zu melodramatisch. Auf das will ich in dieser Bemerkung anspielen, da meine Geschichte deiner Ansicht nach richtig dramatisch ist.
Natürlich kann ich mich niemals mit diesen beiden grandiosen Autoren vergleichen, die mir immer ein Vorbild waren.