Geschichte: Vergessen


 Vergessen
Buch:
  Vergessen
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 18.04.2016 17:44

Miriam war schon immer anders gewesen. Seit sie ein kleines Kind gewesen war, hatten die anderen Kinder über sie gemunkelt. Wilde Geschichten hatten sie erzählt. Sie wäre eine Hexe, die die Tiere verzaubern würde. Oder eine Fee, die mit den Sternen tanzte. Nichts davon war wahr, doch es kam der Wirklichkeit nahe. Sie war tatsächlich etwas Besonderes. Sie wusste nicht, warum niemand außer ihr sie sah. Die Leute im Wald. Junge und Alte. Sie alle waren dort. Lachend, plaudernd wie normale Menschen. Doch sie waren nicht normal. Sie leuchteten. Jeder von ihnen hatte eine schillernde Aura aus Licht. Das machte es ihr leicht, jemanden zum Reden zu finden. Mit Kaelon redete sie besonders gerne. Er brachte sie immer zum lachen und nannte sie ständig seine "Königin". Überhaupt mochte sie ihn von allen am meisten. Er hatte freundliche, honigfarbene Augen und langes, kupferrotes Haar. Kaelon sah jung aus. Er wirkte ungefähr so alt wie Miriam, doch sie wusste, dass er älter war.
Er hatte nämlich genauso ausgesehen, als sie ihm das erste Mal begegnet war. Es war ein schöner Tag im Frühling gewesen. Die Sonne hatte geschienen, die Vögel hatten ihr Lied gesungen und der Sommer hatte vor der Tür gestanden. Die Kinder hatten Verstecken gespielt. Es war eins von Miriams Lieblingsspielen. Sie spielten immer im Wald und sie hatte immer neue Orte entdeckt, an denen sie nie zuvor gewesen war. Im Wald fühlte sie sich zuhause. Es gab überall Wurzeln, Mulden, Sträucher und Baumstümpfe, hinter denen man sich verstecken konnte. Sie war immer die Letzte gewesen, die gefunden worden war. Und an jenem Frühlingstag war sie gar nicht gefunden worden. Sie hatte sich diesmal ein besonders gutes Versteck ausgesucht. Einen alten Dachsbau in einem hohlen Baumstumpf. Sie wusste noch genau, wie sie sich vorgestellt hatte, wie die Anderen suchten und suchten und sie einfach nicht fanden. Die ganzen anderen Kinder, auch die aus dem Nachbarorten, die heute zum Dorffest gekommen waren, würden nach ihr suchen. Sie würden durch den Wald laufen und nach ihr rufen und wenn sie sicher war, dass sie als Letzte übrig war, würde sie kommen und rufen: "Hier bin ich! Hier! Ich habe gewonnen!" So hatte sie es sich damals vorgestellt. Und dann hatte sie darauf gewartet, dass jemand kam. Doch es war niemand gekommen. Immer später war es geworden und schließlich hatte die Abendsonne alles in ihr goldenes Licht getaucht. Miriam freute sich meistens über den Abend, wenn die Sonne erst golden, dann Kupferfarben und zum Schluss flammend rot strahlte, bevor sie unterging, doch an diesem Tag war ihr dadurch klar geworden, dass die anderen sie vergessen hatten. Unter all den Kindern die lachend zu ihren Eltern gerannt waren und ihnen vom heutigen Tag erzählt hatten, hatte sich keines gefragt wo denn eigentlich Miriam sei. Sie hatten sie vergessen. Das kleine Mädchen mit dem hellen, fast weißen Haar und den tiefblauen Augen, dass nun hungrig und einsam in dem hohlen Baumstamm gesessen hatte und weinte, weil es vergessen worden war.

"Warum weinst du denn?"
Damals war ein Gesicht vor dem Eingang des Baus aufgetaucht. Ein junges, freundliches Gesicht, umrahmt von langen, roten Haaren. "Hast du dich verlaufen?"
"N-Nein.", hatte sie zögernd geantwortet. "Aber die Anderen haben vergessen, nach mir zu suchen und jetzt bin ich allein." Das Gesicht hatte gelächelt. "Nun, jetzt bist du nicht mehr allein. Komm doch raus. Da drin ist es sicher nicht sehr gemütlich." Miriam hatte genickt und sich durch die Öffnung im Baumstumpf gezwängt. Da hatte sie dann gesehen, wem das Gesicht gehörte. Vor ihr hatte ein Junge gestanden, fast schon ein Mann. Die vorderen Strähnen seines roten Haars waren nach hinten genommen und zusammengebunden worden. Er hatte eine helle Hose, lederne Jagdstiefel und eine grüne Tunika unter der lange weiße Ärmel hervorkamen getragen und ein dunkelgrüner Umhang hatte auf seinen Schultern gelegen. Miriam jedoch war damals zuerst aufgefallen, dass er von sich aus zu leuchten schien. "Wer bist du?", hatte sie gefragt. "Warum leuchtest du so komisch?" Miriam lächelte. So hatte sie Kaelon kennengelernt.



2 mal bearbeitet. Zuletzt am 20.07.17 13:47.

 Re: Vergessen
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 19.04.2016 05:20
Bewertung:
 

Yay! Hübsch! Weißt du, was "Himmel" auf lateinisch heißt? Caelum! Ich hab' mal ein Volk danach benannt, die Blauen Jäger, du weißt schon, das mit Scipio.
Ich mag die Geschichte. (also deine) Mal sehen, wie es weitergeht!

 Re: Vergessen
Autor:
 kitty (Profil)
Datum:
 06.03.2018 15:58
Bewertung:
 

Echt super gelungen! Ich fange gerade an, die Geschichte zu lesen und sie gefällt mir bis jetzt sehr gut😉