Geschichte: Thanatos


 Thanatos
Buch:
  -
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 19.04.2016 13:35

Da mir kein guter Name eingefallen ist, habe ich dieses Geschichtenfragment - oder Romanschnipsel, wie ich gerne sage - einfach "Thanatos" genannt. (Obwohl es sicher gelungenere Titel gibt...)





Thanatos war ziellos in den Wald gerannt, nur fort von der Leiche seines Freundes, nicht achtend, dass seine Füße ihn auf die vertrauten Wege nach Daria trugen. Er stolperte achtlos vorbei an der alten Silberpappel, unter der er so gern gesessen, an dem kühlen Bach, in dem er an heißen Tagen oder nach langen Wanderungen so oft gebadet hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr er Daria während des Krieges vermisst hatte. Thanatos war an vielen Orten zuhause gewesen, doch hier mehr als überall sonst. Da stolperte er plötzlich ins Freie und das helle Sonnenlicht blendete ihn. Es dauerte eine Weile, bis er sich daran gewöhnt hatte, doch was er dann sah, verschlug ihm den Atem. Daria, das steinerne Dorf, lag vor ihm, doch nicht wie er es verlassen hatte. Weit und breit war kein Lebenszeichen zu sehen. In die weißen Wände der Häuser und Türme waren Löcher gerissen, Scheiben waren zerschlagen, Trümmer lagen über die gepflasterten Straßen verstreut. Daria war zerstört.
Thanatos stürzte auf das erste Haus zu und strich fassungslos über die rußgeschwärzten Steine, als könnte er nicht glauben, was er sah. Er tastete sich an der Wand entlang, während ihm langsam die Tränen in die Augen stiegen, und rannte die Hauptstraße hinauf. Früher war sie voll von Menschen gewesen, nun lag sie in gespenstischer Stille vor ihm.
Thanatos erreichte den Tempel von Darion, dem Heiligen, nach dem das Dorf benannt war. Das runde Gebäude stand noch, doch die Säulen waren auf einer Seite zertrümmert, ein Stück der Decke abgebrochen. Thanatos stürzte hinein und blieb wie angewurzelt stehen. Die Statue des Heiligen war von ihrem Sockel gerissen, der Kopf abgebrochen.
Die Wogen des Schmerzes schlugen über Thanatos zusammen. Er sank auf die Knie und schlang die Arme um sich, während sein Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde. Die nutzlosen Flügel wippten wie schwarze Lappen auf seinem Rücken. Alles war ihm genommen worden. Sein Freund, seine Unsterblichkeit, seine Heimat.
Die Erinnerung stieg wieder in ihm auf. Wie er über der Leiche seines Freundes gestanden hatte, das Messer in der Hand, schwarz vom Blut.
Wie er den Zorn der Götter auf sich gespürt hatte und die Schmerzen, als seine ledrigen Flügel langsam abgestorben und schwarz geworden waren. Er krümmte sich, als könnte er sie noch immer spüren. Seine langen, silbrig weißen Haare fielen ihm ins Gesicht. Er war ein gefallener Engel.
Thanatos nahm den Kopf des Heiligen in die Hände, legte die Stirn gegen den steinernen Helm, den Darion trug. Furcht stieg in ihm auf, wuchs wie ein schwarzes Krebsgeschwür in seiner Brust. Furcht vor dem Tod. Wenn er wieder den Göttern gegenüberstehen würde, die ihn geschickt hatten, um den Krieg zu beenden. Wenn er ihnen gestehen musste, dass er versagt hatte, wenn das Tor zum Jenseits ihm verschlossen bleiben würde.



5 mal bearbeitet. Zuletzt am 27.09.16 18:28.

 Re: Thanatos
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 20.04.2016 05:36
Bewertung:
 

Was haltet ihr davon? Ich interessiere mich sehr für eure Meinung!

 Re: Thanatos
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 18.05.2016 16:04
Bewertung:
 

Die Geschichte ist jetzt fast einen Monat hier und Keiner hat sie gelesen. :-(

 Re: Thanatos
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 21.07.2016 19:40
Bewertung:
 

Aaach, ich hab keinen Bock mehr zu warten, bis endlich mal einer sich dazu aufgerafft kriegt, das hier zu kommentieren! Thanatos ist toll (und eine Heulsuse :D )!

 Re: Thanatos
Autor:
 Karakoff (Profil)
Datum:
 28.09.2016 13:06
Bewertung:
 

Einfach toll, wie du es schaffst, auf immer neue Ideen zu kommen.
Und über jeder deiner Geschichten, liegt ein Schleier des Geheimnisvollen. :bravo:
Du solltest darüber nachdenken, das Schreiben zum Beruf zu machen!
Ich konnte die Stadt mit ihren eingestürzten Gebäuden richtiggehend vor mir sehen, als wäre ich dortgwesen, doch im Endeffekt bin ich daann doch froh, kein gefallener Engel zu sein.
Trotzdem wüsste ich ganz gern, warum er seinen Freund getötet hat. :-)

 Re: Thanatos
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 28.09.2016 14:10
Bewertung:
 

Als die Geschichte entstanden ist, hatte ich noch keine Ahnung, warum Thanatos seinen Freund getötet hat . . . Aber jetzt habe ich schon eine Idee. Die muss aber noch ausgearbeitet werden.
Ich liebe das Geheimnisvolle! Das macht einfach Spaß und ist motivierend! :D