Geschichte: Vergessen IV


 Vergessen IV
Buch:
  Vergessen
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 29.07.2016 14:24

Ihr Kopf schmerzte. Benommen setzte Sie sich auf. Alles wirkte leicht verschwommen. Miriam starrte auf die Laken und wartete darauf, dass sich ihr Blick wieder klärte. Langsam nahm ihre Umgebung Gestalt an (oder zumindest das Laken, auf das sie starrte). Sie erstarrte.
Dieses Bett...war nicht ihres! Ruckartig hob sie den Kopf und sah sich um.
Das war nicht ihr Zimmer. Das war überhaupt kein Ort, den sie kannte! Sie befand sich in einem kleinen, kahlen Raum, der mehr wie eine Höhle als wie ein Zimmer wirkte. Außer dem Bett befand sich dort noch ein schlichter Schrank aus schwerem, dunklem Holz, ein Stuhl, und ein Tisch, der mit Büchern, Fläschchen und losen Pergamentblättern dermaßen überfüllt war, dass es sie nicht weiter überrascht hätte, wenn er einfach zusammengebrochen wäre. Ihr Mantel lag zusammen mit ihrem Haarband und ihrem Gürtel säuberlich zusammengefaltet auf der Stuhllehne. Jemand hatte ihre Schuhe ordentlich danebengestellt.
Wo war sie hier? Hektisch sah sie sich um. Niemand war da. Gut. Vorsichtig stieg sie aus dem Bett. Sie nahm ihren Mantel von der Stuhllehne und beäugte ihn kritisch. Jemand hatte die Stellen, an denen die Dornen ihn zerrissen hatten geflickt. Hastig warf sie sich den Mantel über, schnallte den Gürtel um und schlüpfte in Ihre Stiefel. Erneut besah sie sich ihre Umgebung. Die Wände verrieten kaum etwas über den Bewohner. Sie waren kahl und grau, jedoch nicht dreckig. Zumindest kaum. Neugierig wandte sie sich dem Schrank zu. Düster und groß ragte er über ihr auf. Der Besitzer musste eine reife und ernsthafte Person sein. Schwungvoll öffnete sie die Türen. Eine Kollektion schwarzer Mäntel hing ordentlich aufgereiht an der Kleiderstange. Einige sahen aus wie einfache Reisemäntel, andere waren aus feineren Stoffen und mit fremdartigen Mustern bestickt. Unten stand ein Paar schlammverkrusteter Lederstiefel.
Miriam runzelte die Stirn. Einen seltsamen Gastgeber hatte sie da.
Ihre Augen glitten zum überfüllten Schreibtisch. In der Mitte lag ein Brief, den der Bewohner wohl erst vor Kurzem gelesen hatte. Er war in der zittrigen Handschrift eines alten Mannes geschrieben. Miriam wusste, dass es sich bei dem Schreiber um einen Mann handelte, denn er hatte mit "Meister Ingolf" unterschrieben. Das Mädchen kniff die Augen zusammen und versuchte den Rest zu entziffern.

Ich grüße dich, alter Freund
Ich bedaure es sehr, zum Überbringer schlechter Nachrichten zu werden, doch du musst es erfahren. Eine schreckliche Epidemie geht in den Dörfern der Umgebung um und fordert große Opfer in den Reihen des einfachen Volkes. Inzwischen hat sie auch unsere Stadt erreicht. Einige brave Bürger wurden bereits von der furchtbaren Seuche dahingerafft und verpesten nun die Luft mit Leichengestank. Und als wäre das nicht schon Prüfung genug, kehren immer weniger von ihnen ins Totenreich ein.
Ich weiß, dass du die Wünsche der Königin achtest und respektierst, doch wird das Volk unruhig und ihre Abwesenheit war schon Grund für so manchen unschönen Vorfall.
Ich bitte dich, Darius, rede ihr ins Gewissen und bringe sie zur Vernunft! Es gibt zu wenige unserer Zunft um ihre Aufgabe in diesen Zeiten des Todes zur Genüge zu erfüllen.
In Bälde erwarte ich deine Antwort
Meister Ingolf

Beunruhigt kaute Miriam auf ihrer Lippe. Das waren tatsächlich schlechte Nachrichten. Die Epidemie hatte ihr Dorf noch nicht erreicht, doch es war nur eine Frage der Zeit. Was sollte das heißen "sie kehrten nicht in das Totenreich ein"? Wie konnte man von etwas dahingerafft werden und dann nicht dort einkehren? Das ergab überhaupt keinen Sinn. Und welche Königin war hier gemeint? Die Frau Gemahlin des Königs hatte das Land nicht verlassen und sie verstand nicht, warum ein Zunftmeister aus einer Stadt einen Dörfler bat, die Königin zur Vernunft zu bringen. Im Übrigen hielt sie sie für eine äußerst vernünftige Frau. Stirnrunzelnd las sie weiter. Was für eine Zunft das wohl war? Und was für eine Aufgabe hatte die Königin, die diese nicht erfüllen konnte? Sie beschloss, sich später den Kopf darüber zu zerbrechen, was das wohl bedeuten mochte. Gespannt überflog sie die anderen Dokumente. Die meisten waren Hilferufe wegen merkwürdiger Vorkommnisse. Bei einigen handelte es sich aber um Rezepturen für Heiltränke oder Tinkturen mit zum Teil unklaren Verwendungszwecken.
In einem dunklen Lederbeutel fand sie einen ganzen Haufen Silbermünzen und unter einem Stapel alter Briefe fand sie ein Buch, zwischen dessen Seiten in Pergament gewickelte Pflanzen trockneten. Vielmehr aber interessierte sie der Titel. Es war ein alter Foliant. Seine Seiten waren vergilbt und man sah dem verblichenen Einband kaum noch an, dass er einst blau gewesen war. Die geschwungenen, goldenen Buchstaben darauf waren kaum noch zu erkennen.

[color=#0000FF]Nekromantie[/color]

Gedankenverloren blätterte sie zwischen den fleckigen Seiten. Es beinhaltete Texte über berühmte Nekromanten, weit zurückliegende Beschwörungen, Skizzen von Geistern, lebenden Toten, Bannkreisen, magischen Utensilien und Anleitungen für diverse makabre Rituale. Miriam schauerte. Das war falsch. Geister aus ihrer Welt zu holen, die Schranke zwischen Leben und Tod zu durchbrechen....
Sie zitterte vor Entsetzen - und Wut.
War das ihr Gastgeber? Ein Nekromant? Ein Verbrecher gegen das Leben?
Nein. Die Leute baten ihn um Hilfe. Er würde seine Gründe haben, dieses Buch zu besitzen.



5 mal bearbeitet. Zuletzt am 20.07.17 13:39.

 Re: Vergessen IV
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 29.07.2016 17:19
Bewertung:
 

Ich hatte mir mit den Formulierungen viel Mühe gegeben und dann habe ich aus Versehen über den Bildschirm gewischt und die Hälfte war weg. Vorher war es besser. Tut mir leid. :-(

 Re: Vergessen IV
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 26.08.2016 14:43
Bewertung:
 

Meister Ingolf klingt ein bisschen wie Gandalf. Die Art, wie er schreibt . . . Fehlt nur noch, dass er mit einer G-Rune unterschreibt (beziehungsweise mit einer I-Rune) :D
Nimm das Komma zwischen "Gürtel" und "säuberlich" weg und das zwischen "diverse" und "makabre", dann ist es perfekt. Oder, sagen wir, nah an perfekt :D . Denn wirklich perfekt ist nie etwas.
Naja, ich bin aus den Ferien zurück, hatte viel Spaß, habe viele Jellicle Cats gezeichnet und freue mich darauf, dich wiederzusehen!

 Re: Vergessen IV
Autor:
 Karakoff (Profil)
Datum:
 03.09.2016 10:58
Bewertung:
 

Deine Geschichte ist super. Unbedingt weiterschreiben!!!