Geschichte: B.i.d.K. 21 - Schreckliche Erkenntnisse


 B.i.d.K. 21 - Schreckliche Erkenntnisse
Buch:
  Bekehrung in der Kirche
Autor:
 Karakoff (Profil)
Datum:
 03.10.2016 11:54

Starr vor Schreck lag Kunze da, den Mund noch immer zu einem Schrei geöffnet.
Er konnte sich nicht rühren, keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Er wollte keinen klaren Gedanken mehr fassen!
Vor seinem inneren Auge konnte er die Gliedmaßen, die er noch immer umklammert hielt, in all ihrer Gräulichkeit sehen.
Nach einer unendlich langen Zeit, erlahmte die Kraft in seinen Fingern, und er ließ den Arm los. Ein säuerliches Gefühl kroch seine Magenwände hinauf und er beugte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, um sich nicht auf seinen ziemlich mitgenommenen Anzug zu übergeben.
Mit einem krächzenden Husten stand er auf. Er schwankte, bei dem Gedanken, dass dieses Material, das ihm kurz zuvor das Leben gerettet hatte, die Überreste anderer Menschen waren.
Zitternd setzte er ihm Dunkeln einen Fuß vor den anderen, um die Größe seines Gefängnisses einschätzen zu können.
Bereits nach sieben Schritten erreichte er die Wand, an der er vor seinem Sturz noch gehangen hatte.
Auch die anderen Wände erreichte er nach kurzer Zeit. Verdammt!
Also gab es hier wirklich keinen anderen Ausgang, als das Loch!
Und das war wer weiß wie weit von seinem jetzigen Standpunkt entfernt!
Doch Kunze wollte nicht aufgeben.
Er wollte nicht auf die Gebeine fremder Menschen niedersinken.
Also dachte er nach. Offenbar befand er sich in der ehemaligen Pestgrube des Sanatoriums. Oder auch einfach im letzten Stadium der Menschenverschwindungsanlage der Deutschland GmbH.
Bei diesem Gedanken lachte er trocken auf und sein Echo antwortete ihm als gruseliger Nachhall.
Immer schneller begann Kunze in der Dunkelheit auf und abzulaufen.
Den Gedanken, hier neben den Leichen und Skeletten niederzusinken und ebenfalls zu vermodern, konnte er einfach nicht ertragen.
Hektisch drehte er eine weitere Runde und trat in etwas, das ein eklig schmatzendes Geräusch von sich gab.
In Kunzes Fantasie gab es die wahnwitzigsten Möglichkeiten, was das wohl gewesen sein könnte: Ein Stück alte Leber, ein zertretenes Herz, ein Kniegelenk besudelt mit Gehirnflüssigkeit…
Bei diesen Gedanken wurde ihm nicht gerade wohler, doch als ihm so langsam klar wurde, dass er nach oben wohl niemals allein kommen würde, überwand er sich, und kniete sich auf den aus verwesenden Gliedmaßen bestehenden Boden.
Dabei versuchte er, den unmenschlichen Gestank zu ignorieren, der hier umso stärker wurde, je näher er dem Boden kam.
Mitleidig dachte er an seine Hände. Dann begann er mit ihnen in dem Unrat zu graben.
Sein Gesicht war zu einer undurchdringlichen Maske gefroren.
Emotionslos und bleich.
Seine Finger streiften einen alten Totenschädel, eiskalte Arme und Beine, etwas, das sich wie ein Haufen Kieselsteine anfühlte, in Wirklichkeit aber eine Menge alter Zähne waren.
rotz all dem zeigte sich keine Regung in seinem Gesicht.
Er wusste, dass es keinen Sinn hatte.
Doch wahrhaben wollte er es nicht.
Stumm wie eine Maschine arbeitete er sich voran, schob Körperteile und Knochenreste beiseite, ohne daran zu denken, was er da in den Händen hielt. Mit dem Wissen, dass seine Bemühungen nichts brachten, würden auch wieder Fragen aufkommen. Was tun?
Wie soll ich denn sonst hier rauskommen?
Warum sind hier so viele Leichen?
Warum muss es hier so stinken?
Warum ausgerechnet ich?
Wie lange wird es dauern, bis ich an einer Sauerstoffvergiftung sterbe?
Wird überhaupt jemand an mich denken, wenn ich tot bin?
Mitten in der Bewegung hielt er inne, die Maschine in ihm hatte ihren Geist aufgegeben.
Die Gefühle stiegen wieder hoch, Gefühle und Fragen, die er ohne die Anstalt wohl nie kennengelernt hätte. Wer würde ihn vermissen?
Diese Frage bohrte sich ihm wie ein Pfeil gnadenlos ins Herz.
Im Alltag hatte er nie darüber nachgedacht, er hatte sich einfach wie ein Zahnrad gefühlt, ohne dass das ganze Getriebe ausfiel. Doch nun, in Anbetracht der ganzen Leichen, war er sich nicht mehr so sicher.
Ob man ihn an der Arbeit einfach ersetzen würde?
Die Arbeit, der er bisher fast sein ganzes Leben gewidmet hatte?
Für die er die Pflege seiner Eltern aufgegeben hatte?
Für die er seine Eltern schließlich ins Heim geschickt hatte, nur der Karriere und des Geldes wegen?
Es kam hoch wie eine Welle.
All die Dinge, die früher nie eine Bedeutung für ihn gehabt hatten, schienen ihm plötzlich das Kostbarste auf der ganzen Welt zu sein. Was half einem das Geld, wenn man in der Leichengrube einer Anstalt gefangen war?
Warum hatte er sein ganzes Leben nur verschwendet?
Warum hatte er keine Freunde?
Er hatte seine Eltern allein gelassen, er hatte seinen einzigen Freund allein gelassen, um die Uni zu wechseln.
Und nun brauchte er sie am dringendsten.
Der bittere Ausdruck auf seinem Gesicht vertiefte sich und mit saurerer Miene begann er wieder, die Grube auszuheben.
Während er sich bemitleidete und seinen Selbsthass schürte, nährten sich von oben Schritte. Kunze bemerkte sie nicht.
Vielleicht hätte er sonst um Hilfe gerufen, doch er kam nicht aus seinem Loch heraus, wollte für immer in ihm versinken.
Wahrscheinlich hätte er dort unten ein schreckliches Ende gefunden, wenn nicht in diesem Moment eine raue Stimme seine Ohren erreicht hätte.
„Ey, Kleiner. Bist du vielleicht da unten?“

Fortsetzung folgt...

 Re: B.i.d.K. 21 - Schreckliche Erkenntnisse
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 04.10.2016 12:43
Bewertung:
 

Ich hätte nie gedacht, dass menschliche Überreste Leben retten können! :D

 Re: B.i.d.K. 21 - Schreckliche Erkenntnisse
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 19.10.2016 18:40
Bewertung:
 

Ich hätte mir aus den ganzen Knochen eine Leiter gebaut.