Geschichte: B.i.d.K. 16 - Die letzte Ehre

Das Erste, was ihm auffiel war, dass der Soldat aus dem Zimmer verschwunden war. Zum Glück!
Doch er konnte sich nicht entspannen.
Zwar war der Bewaffnete fort und auch sonst schien keine lebende Seele mehr dort unten zu verweilen, doch der Gefolterte war immer noch da.
Lebendig war er jedoch nicht mehr.
Mit leerem Blick starrte er Kunze aus seinem gräulich verfärbten Gesicht an.
Der wich zurück. Das durfte doch nicht wahr sein! Nun war es geschehen!
Dabei hätte er etwas unternehmen können!
Seine Finger wurden schweißnass. Es war so, als würde ihn der Tote beobachten. Vorwurfsvoll sah er zu ihm mit glasigen toten Augen hinauf.
Auf seiner Stirn prangte ein vielleicht einen halben Zentimeter breites Einschussloch. „Verdammt! Was ist das hier alles nur?“
Er wollte gehen, doch er konnte nicht.
Er musste diesen armen Mann anstarren, konnte den Blick nicht mehr abwenden.
Noch nie hatte er einen echten Toten gesehen, schon gar nicht einen, der durch menschliche Hand von seiner Seele befreit worden war.
Es war einfach nur furchtbar.
Und diesem hier konnte man nicht einmal mehr nach alter Tradition die Augen schließen, so schlimm war er von seinem Mörder zugerichtet worden.
Kunzes Hände verkrampften sich.
Was für eine Schande, einer solchen Spezies anzugehören, die etwas so Schreckliches fertigbrachte!
Er überlegte, was er nun tun sollte. Sollte er hinunterspringen und dem Toten trotz alledem seine letzte Ehre erweisen? Sollte er weiterziehen?
Es kam ihm skrupellos vor, den Leichnam dort allein auf dem Stuhl liegen zu lassen, noch immer das grelle Licht über sich.
Schuldgefühle hämmerten in ihm.
Wenn er nicht sofort etwas unternahm, würde er verrückt werden!
Endlich raffte er sich auf und suchte auf dem Boden nach einem guten Wurfgegenstand.
Diese Beschäftigung tat ihm gut und sein keuchender Atem wurde mit der Zeit etwas ruhiger. Er hatte etwas, mit dem er sich ablenken konnte, auch wenn es nicht sehr lange dauerte, bis er schließlich einen ziemlich großen Ziegelstein ausgewählt hatte. Die Finger seiner rechten Hand klammerten sich an den kalten rauen Stein, als er zu dem Loch im Boden zurückkehrte.
Dort angekommen kniete er sich langsam hin und wog den Stein in der Hand. Hoffentlich würde er bei dieser Aktion nicht entdeckt werden.
Ansonsten erwartete ihn wohl ein ansehnliches Loch in seiner Schädeldecke. Trotzdem wollte er es tun, denn er wusste, dass ihn der Gedanke an seine Untätigkeit bis in seine Träume verfolgen würde.
Das eine Auge kniff er zu, zielte und warf.
Der Stein traf wie erhofft den Schirm der Lampe. Es gab ein knisterndes Geräusch, Funken sprühten aus der Fassung, denn erlosch das Licht.
Erleichterung stieg in Kunze auf, wie ein Heliumballon in den Sommerhimmel.
Der Stein polterte zu Boden.
Augenblicklich wurde es auch für Kunze dunkel.
Die Finger der Finsternis griffen nach ihm, doch er stand nicht auf.
Sein Herzschlag hatte sich beruhigt, er hatte der Welt etwas Gutes getan.
Noch einen Moment würde er hier innehalten, entschied er.
Obwohl er noch nie eine Totenwache gehalten hatte, kam sie ihm in diesem Moment ungemein wichtig vor und zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich hier ausgesprochen sicher.
Wo doch der Raum unter ihm wie „ausgestorben“ dalag.
Bevor er jedoch hysterisch werden konnte, wurde sein Plan, die Totenwache abzuhalten, jäh unterbrochen, denn auf einmal hörte er ein wahnsinniges Lachen.
Das Blut gefror ihm in den Adern.
Jemand war hier! Und er lachte ihn aus!
Ruckartig sprang er auf. Etwas streifte schmerzhaft seinen Arm.
Es war scharf und er spürte eine warme Flüssigkeit die Haut entlang laufen.
Blut.
Sein Blut!
Er schrie auf und rannte los.
Das Lachen klingelte gräulich in seinen Ohren.
Stolpernd bog er um eine Ecke und die nächste.
Er rannte so lange, bis die Angst, die sich um sein Herz geschlossen hatte, ihn nicht mehr einholen konnte.

Fortsetzung folgt...

Wow! Ich liebe die Atmosphäre, die du in deiner Geschichte erzeugst!

Ich mag deinen Schreibstil.
Und natürlich die Geschichte.
Hoffe noch auf einige weitere Kapitel.
(Schön, das mit dem Buch! So findend man die Kapitel auf Anhieb...)

Also jetzt bin ich echt neidisch.
"How do you do that! Tell me!"