Geschichte: Der Turm der verlorenen Träume X


 Der Turm der verlorenen Träume X
Buch:
  Der Turm der verlorenen Träume
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 08.07.2017 11:56

Am nächsten Morgen wurde Silvana von Giovanni geweckt. Sie hatte keinen luziden Traum gehabt. Der Alte tröstete sie damit, dass auch er am Anfang nicht in der Lage gewesen war, sofort einen Klartraum heraufzubeschwören.
Der Weg beschrieb einen weiten Bogen um den Hügel herum, umging ein Waldstück und mündete in die gepflasterte Nord-Süd-Straße, die am Ufer des Flusses Brenden verlief und sich Brendendorf, das nach diesem Fluss benannt war, von Süden her näherte.
Lange gingen sie nebeneinander her; jeder war im seine eigenen Gedanken versunken. Gegen Mittag brach Giovanni das Schweigen.
„Schau!“ Er deutete zur Hügelkuppe.
Silvana folgte seinem Finger. Das Dorf war noch nicht zu sehen, doch eine steinerne Burg schmiegte sich an den Hang. Der mächtige Bergfried überschattete den ummauerten Burghof.
„Das ist die Basaltburg“, sagte Giovanni. „Ihre Mauern sind aus Basaltstein gebaut. Wenn Gefahr droht, können sich alle Dorfbewohner in diese Burg zurückziehen.“
Silvana staunte. Sie hatte noch nie eine Burg gesehen. Sie sah aus wie eine Wolfsmutter, die sich liebevoll über ihre Jungen beugte, bei Gefahr aber zu einem zähnestarrenden Ungeheuer werden konnte.
Langsam umrundeten sie den Hügel und stießen schließlich auf die Straße. Hier herrschte reger Betrieb. Kutschen kamen ihnen entgegen und auf dem Fluss trieben Boote.
Da lief eine schwarze Katze quer über den Weg verschwand im Wald. Silvana blickte ihr nach. Hatte ihr Fell einen rötlichen Schimmer gehabt? Sie konnte es nicht sagen.
Die Reisenden erreichten eine hohe Brücke, die auf stämmigen Beinen dort stand und den Fluss überspannte und gleichzeitig das Tor zu Brendendorf zu sein schien.
Doch sie war zerbrochen.
Sie endete auf halbem Weg über den Fluss und schien verzweifelt nach dem anderen Ufer zu greifen, ohne es erreichen zu können. Auf dem Weg lag ein großer Trümmer, den die Pferdewagen nur mit Mühe umgehen konnten. Die Reperaturarbeiten waren bereits in vollem Gange. Das große Trümmerteil wurde in kleine Stücke zerschlagen und mit Karren fortgeschafft. Arbeiter waren dabei, ein hölzernes Gerüst zu bauen.
„Was ist hier passiert?“, fragte Silvana, als sie unter der Brücke passierten. Giovanni zuckte ratlos die Schultern.
Das Dorf bestand aus weiß verputzten Fachwerkhäusern, Holzhütten und einigen wenigen Steinhäusern. Viele Grundstücke und Gärten waren mit den gleichen Steinmauern umgrenzt, die sie auch schon draußen im Feld gesehen hatten. Sie fanden eine Herberge – Zum Burggespenst – und Giovanni ging hinein, um nach einem Zimmer zu fragen, während Silvana auf der Straße wartete. Sie blickte sich um und sah etwas, das sie erstaunte. Auf einer Mauerdecke saß ein Vogel, und es war kein Sperling oder Star. Er war so groß wie ein Eichelhäher. Sein Gefieder war von einem hellen Grau, die breiten Schwanzfedern aber leuchteten rot. Der Vogel hatte einen großen, gebogenen Schnabel und grelle gelbe Augen.
Es war ein Graupapagei.
Verwundert kam Silvana näher. Der Vogel stieß einen Pfiff aus, als wollte er einen Hund rufen. Silvana musste lachen. Sie verspürte die Versuchung, sein Gefieder zu streicheln, doch ein Blick auf den scharfen Schnabel überzeugte sie davon, es nicht zu tun.
Der Papagei legte den Kopf schief und blickte sie aus wachen, runden Augen an.
„Das ist Onyx“, hörte sie plötzlich jemanden hinter ihr sagen. Sie drehte sich um. Der Mann, von dem die Stimme kam, war drahtig und groß gewachsen. Er trug einen abgewetzten Ledermantel, der ihm bis zu den Kniekehlen reichte, und darunter ein Hemd und eine dunkle, schmutzige Hose, die in seine fast kniehohen Stiefel gesteckt war. Sein Gesicht war bärtig und seine blonden Haare lang und ungepflegt. Doch was Silvanas Aufmerksamkeit am meisten anzog, war das Schwert an seinem Gürtel und der Bogen über seiner Schulter.
Der Papagei krächzte etwas, das wie „Duc“ klang. Er schien die menschliche Stimme zu imitieren. Der Mann streckte den Arm aus und rief seinen Namen. Onyx flatterte auf seine Schulter.
Da kam Giovanni aus der Gaststätte auf die Straße.
„Giovanni!“, rief der Mann. „’s ist lange her!“
Verwirrt blickte Silvana zwischen den beiden hin und her. Sie kannten einander?
„Duc“, sagte Giovanni. „Schön, dich zu sehen.“
Er war neben Silvana stehen geblieben.
„Das ist Ducobald“ „Ein scheußlicher Name, nicht wahr?“, sagte dieser. „Meine Eltern haben mich wohl gehasst. Nenn mich Duc.“
„Weißt du, was mit der Brücke geschehen ist?“, wechselte Giovanni das Thema.
„Aye“, sagte Duc. „Es soll ein Blitz gewesen sein. Das sagen die Dorfbewohner jedenfalls.“ Er trat näher. „Dieser Blitz war kein natürliches Ereignis. Es war Magie, glaub mir, wenn ich das sage. Ein Magier. Sein Name ist Kalanos.“
„Woher kommt er?“
„Südwesten. Aus Munita in den Bergen. Das heißt, nicht direkt dort. Er soll in einem unzugänglichen Felsental einen einsamen Turm bewohnen.“
Er blickte den Alten fragend an. „Hast du etwas damit zu tun?“
Giovanni schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Allerdings glaube ich, dass der Grund, weshalb ich hier bin, etwas mit ihm zu tun hat.
Wir suchen jemanden, der Träume stielt, und mein Gefühl sagt mir, dass er es ist.“
Duc zog die Augenbrauen hoch.
„Ein Traumdieb? Das erklärt das seltsame Verhalten der Dorfbewohner. So freud- und lieblos. Ja, das erklärt einiges.
Du gehst also nach Munita?“
„Morgen früh. Heute übernachten wir im Burggespenst.“
„Ich begleite euch“, entschied Duc. „Ich muss selbst in diese Richtung.“
Giovanni trat näher an ihn heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ducs Gesicht zeigte keine Regung und er nickte langsam. Er klopfte Giovanni auf die Schulter und wünschte ihnen eine gute Nacht, bevor sie in der Gaststätte verschwanden.
Der Mond kletterte über den Himmel und die Sterne funkelten still in der Schwärze der Unendlichkeit.
Eine schwarze Katze saß auf der Mauer vor dem Burggespenst und blickte aus gelben Augen zum großen, runden Mond hinauf.
Zur gleichen Zeit lag Giannina am Rande des Feldweges und bemühte sich, einzuschlafen.

 Re: Der Turm der verlorenen Träume X
Autor:
 Karakoff (Profil)
Datum:
 09.07.2017 15:24
Bewertung:
 

Juhuuu! Die Katze ist wieder da! ;-)
Jetzt bin ich gespannt, was Giovanni Duc gesagt hat...

 Re: Der Turm der verlorenen Träume X
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 09.07.2017 18:44
Bewertung:
 

Ich auch. Sie haben mich nämlich nicht eingeweiht...

 Re: Der Turm der verlorenen Träume X
Autor:
 Karakoff (Profil)
Datum:
 10.07.2017 07:07
Bewertung:
 

Das gibt doch immer die besten Geschichten...

 Re: Der Turm der verlorenen Träume X
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 13.07.2017 18:54
Bewertung:
 

Haha.....warum erinnert mich Duc an Staubfinger und Aragorn?