Geschichte: Der Turm der verlorenen Träume XIII

Da wandte das Ungeheuer den Kopf. Silvana folgte seinem Blick. Die Blätter teilten sich, und sie wusste bereits, wer da kam, bevor er gänzlich zu sehen war.
Mit einem Schrei schwang Duc das Schwert über den Kopf und stürmte auf das Ungeheuer zu. Der Mantel und sein helles Haar wehten hinter ihm her und folgten seinen Bewegungen wie der Schweif eines Pferdes. Das Ungeheuer wich zurück, erstaunt über die plötzliche Wucht des Angreifers, hatte sich aber sofort wieder gefasst. Es stellte sich auf die Hinterbeine und stieß ein Brüllen aus, so laut, dass die Sonne am Himmel erzitterte. Schnell wie eine Schlange wich Duc den vier Pranken aus, die nach ihm schlugen. Ein Sonnenstrahl traf die blitzende Klinge und ließ sie aufleuchten, als sie wie der blanke Stachel eines Insekts vorstieß und sich tief in die Brust des Tieres bohrte. Das Ungeheuer taumelte und stürzte und Duc hatte gerade noch genug Zeit, den Schwertgriff loszulassen und zurückzuspringen, bevor es über ihm zusammenbrach.
Staub und Blätter wirbelten vom Boden auf, als das mächtige Tier zum Liegen kam, und tanzten vergnügt im Licht der schwindenden Sonne, als wäre nichts geschehen.
Duc stapfte zu ihm hin und zog mit einem Ruck das Schwert aus seiner Brust.
Dann wandte er sich zu Silvana um. Als sie den wilden, grimmigen Blick in seinen Augen sah, wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück. Doch sofort wurde sein Gesicht sanfter. Er nahm das schmutzige Tuch, das an seinem Gürtel befestigt war, und begann, das Blut von der Klinge seines Schwertes zu wischen.
Staunend kam Silvana näher. Ihre Knie zitterten noch immer.
„Was war das?“
Duc warf einen Blick auf den Körper des Tieres und zuckte mit den Schultern.
„Wenn es einen Namen hat, dann weiß ich ihn nicht. Diese Tiere leben eigentlich weiter oben in den Bergen. Es wundert mich, so weit unten auf eins zu treffen.“
Er war mit dem Polieren der Klinge fertig und steckte das Tuch wieder in seinen Gürtel.
Staunend starrte Silvana das glänzende Schwert an.
„Darf ich... darf ich es mal halten?“, fragte sie schüchtern.
Duc warf ihr einen fast erstaunten Blick zu. Er zögerte kurz, doch dann reichte er ihr das Heft. Zwar war die Waffe schwerer, als Silvana erwartet hatte, doch sie lag gut in der Hand. Sie umfasste den Schwertgriff mit beiden Händen und richtete die Klinge vor sich auf.
„Es heißt Nebelstreif“, sagte Duc.
„Wie viele andere habe ich in meiner Jugend in der Armee gedient. Wir kämpften an der Nordwestgrenze gegen die Settentiri“
Sein Blick verfinsterte sich.
„Ein sinnloser Krieg. Jahrelang ging es weder vor noch zurück. Keines der beiden Länder wollte die Grenzgebiete aufgeben. Ein Soldat nach dem anderen fiel, nur um von einem neuen ersetzt zu werden. Der König ließ karrenweise neue Männer heranschaffen.“
Duc lachte grimmig.
„Männer! Kinder eher. Viele hatten gerade ihren ersten Bartflaum.
Ich habe damals das Vertrauen in den König verloren.“
Er verstummte. Traurig sah er zu, wie Silvana vorsichtig die Klinge betastete.
„Nach Jahren in der kalten Öde . . . bin ich geflohen.
Ich habe mich durch den Wald gekämpft, habe gelernt, in der Wildnis zu überleben.“
Silvana starrte ihn ungläubig an.
Duc zuckte die Schultern.
„Sie wissen es nicht. Sie glauben, ich wäre tot.“
Silvana gab ihm das Schwert mit dem Heft voran zurück. Seine Geschichte hatte ihre Bewunderung für ihn nur noch verstärkt.
„Du brauchst eine Waffe“, wechselte Duc das Thema. „Damit du dich in der Wildnis verteidigen kannst.“
Er schob Nebelstreif in die Scheide zurück.
„Ein Kurzschwert vielleicht, oder ein Messer.“
„Ich weiß nicht, ob ich mit so etwas umgehen kann“, entgegnete Silvana unsicher.
Duc hob eine Augenbraue.
„Du hast dich mit einem Stock gegen ein sechsbeiniges Untier verteidigt. Ich bin sicher, dass du es schnell lernen wirst.“



1 mal bearbeitet. Zuletzt am 11.09.17 16:03.

Wow...

Die Geschichte ist wunderbar, ich habe erst diesen Teil gelesen, aber ich werde mich daran machen alles von vorne zu lesen.
Tolle Wortwahl, super Schreibstil, der Text ist gut gegliedert ...

vielleicht könntest du mal ein Synonym für schüchtern gebrauchen, zum Beispiel:
entgegnete sie etwas unsicher oder so

Aber das musst du nicht unbedingt, nur so ne Idee...

Ich freue mich darauf weiterzulesen

Aww, danke! Das bedeutet mir viel. Ich habe schon fast darüber nachgedacht, die Geschichte an den Nagel zu hängen, weil ich einfach nicht vorankam -
aber du hast mich motiviert, weiterzumachen, auch wenn es schwer ist.
(Ich habe noch nie eine Geschichte zu Ende geschafft, das hier könnte die erste werden)

Und du hast recht, mir ist auch gerade aufgefallen, dass ich zweimal in diesem Kapitel "schüchtern" verwendet habe. Das muss ich schleunigst ändern! :))

mann, ich habe so lange nicht mehr gelesen, dass ich nicht mehr weiß, wer Duc ist.