Geschichte: D. O. I. Teil 3


 D. O. I. Teil 3
Buch:
  Die Osterhaseninvasion
Autor:
 Equestrice (Profil)
Datum:
 15.05.2018 18:27

"Alle Raumschiffe bereit machen für den Abflug!" - "Wie gewünscht, Majestät." Ihr freudloses Lachen schallte in meinen Ohren. "Gut. Wir müssen den Menschen einen Besuch abstatten."


Mit aller Kraft versuchte ich mich von den Fesseln zu befreien. Es gelang mir, den Strick meiner rechten Hand zu lockern, doch sofort wurden die Bewacher aufmerksam und richteten ihre Waffen auf mich. Verzweiflung überkam mich, als mir klar wurde, dass das Schicksal der Menschheit einzig und allein von mir abhing. Doch anders als Helden in Filmen besaß ich weder übernatürliche Kräfte, noch einen Plan, um all dem hier ein Ende zu setzen. Dazu kam noch, dass ich gefesselt von zwei Osterhasenbodyguards bewacht wurde. Toll, oder?

"Bitte! Ich gebe euch alles, was ihr begehrt!", schrie ich verzweifelt. Hasi drehte sich zu mir um und lachte hämisch. "Was hast du, was wir nicht haben?" - "Äh... Wahrscheinlich vieles", antwortete ich so selbstbewusst wie möglich, doch mein ganzer Körper zitterte vor Angst.
"HA! Theoretisch können wir mithilfe unserer hochmodernen Waffen all eure Gedanken löschen und uns von eurem Gehirn ernähren!" Zutiefst angeekelt unterdrückte ich den Reiz, mich wieder einmal übergeben zu müssen.
"Aber was erhofft ihr euch von der Eroberung der Erde?" Hasi blickte mich ungläubig an. "Natürlich die Kontrolle über die Menschheit, die uns verraten hat!" - "Zum tausendsten Mal, wir haben euch NICHT-" Mit einer Handgeste brachte er mich zum Schweigen. "Wir sind da."

Geschockt sah ich aus dem Fenster, und tatsächlich, wir schwebten Kilometer über dem Boden, besser gesagt über mein Zuhause. Oh Gott! Ich durfte nicht zulassen, dass sie meiner Familie etwas antun! "Bald wird eh die Luftwaffe kommen und euch vernichten!", schrie ich zornig. "Schön wär's. Bedauerlicherweise​ sind unsere Raumschiffe von einer Hülle umgeben, die uns ermöglicht, unsichtbar den Himmel zu überqueren." Frustriert kämpfte ich gegen die Fesseln meiner linken Hand, heisse Tränen stauten sich an. Immer waren sie einen Schritt voraus, ich hatte keine Chance.

Plötzlich trat eine winzige Gestalt aus dem Gebäude und mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich sie als Karin identifizierte. Die anderen bemerkten sie wohl auch, denn sofort kam der Befehl der Königin, zu landen. Nein nein nein nein! Doch das Raumschiff berührte den Boden und legte ihre Tarnkappe ab, sodass unzählige sichtbare Raumschiffe in der Einfahrt standen. Abrupt blieb Karin stehen und ihr Kiefer klappte nach unten. In ihrem Gesicht konnte ich die Angst lesen, die sie lähmte. "Lauf weg!", schrie ich ihr zu, doch sie hörte mich nicht, denn ihre Augen waren auf die Osterhasen fixiert, die sie mit ihren violetten Waffen einkreisten. "Nicht schießen! SIE IST MEINE SCHWESTER!", brüllte ich verzweifelt.

Alle hielten inne und endlich bemerkte mich Karin. "Joey! Was... Wie...?!" Plötzlich packte sie ein Osterhase von hinten und hielt die Waffe an ihre Schläfen. Sie schrie verängstigt auf und zappelte, doch der Hase ließ sie nicht los. "Tut ihr nichts, sie ist unschuldig!", fauchte ich.

"Anscheinend sind alle Erdlinge unschuldig.", bemerkte die Königin trocken und zog ironisch eine Augenbraue hoch. "Naja, wenigstens ist alles schon in die Wege geleitet worden. Überall in der Stadt sind Raumschiffe posiert und warten nur noch auf meinen Befehl. Wenn ich dich wäre, Joey, würde ich mich hüten, Kommentare abzugeben."

Schweigend wanderten meine Augen zu Karin, die unregelmäßig atmete. Eigentlich war es so ungerecht. Meine kleine Schwester, die seit Ewigkeiten Ostern mit Freude feierte, wurde jetzt von einem lebendigen Osterhasen bedroht.

Irgendwie muss bewiesen werden, dass viele Menschen noch lange nicht den Glauben an Osterhasen aufgegeben haben.

Plötzlich fiel mir etwas siedend heiß ein. Der Schokoladenhase, den ich von Karin geklaut hatte! Zum Glück hatte ich die Jeans nicht gewechselt. Mit zwei Fingern fischte ich die Süßigkeit aus meiner Hosentasche und streckte es in die Höhe. Automatisch richteten sich alle Blicke auf mich. Nach einem Atemzug begann ich zu reden: "Die Menschen sind eigentlich nicht so schlecht wie ihr alle denkt." Ein Osterhase wollte mich zum Schweigen bringen, doch eine Handgeste der Königin liess ihn innehalten. "Schaut euch um."

Überall hatten die Leute ihre Häuser mit Osterdekorationen geschmückt, an den Haustüren hingen Kränze, in denen leuchtende gelbe Blumen eingeflochten waren. Die Körbe im Vorgarten beinhalteten auf Stroh gebetteten Eiern, die in den buntesten Farben matt glänzten. All dies, obwohl schon längst Ostersonntag gewesen war.

"Eigentlich feiern wir Ostern aus religiösen Gründen. Doch insbesonders Osterhasen sind für die Kinder ein grosses Thema. Jedes Jahr fiebert meine Schwester Karin auf dieses Fest hin. Wir verehren euch! Außerdem war es NIE unsere Absicht gewesen, euch auf eurem Heimatplaneten aussterben zu lassen! Die Existenz der Osterhasen ist leider schon seit langem in Vergessenheit geraten. Sonst hätten wir sicherlich einen Weg gefunden, um euch zu helfen. Doch es ist nicht zu spät."

Schweigen.

Ich atmete nochmals durch und legte alle Überzeugungskraft, die ich aufbrachte, in meine Stimme: "Es ist nicht meine Entscheidung, die etwas bewirken kann, sondern eure. Ist es wirklich euer Wille, einen Planeten auszulöschen auf dem Menschen, ja unschuldige Kinder und Tiere leben?"

Mein Blick schweifte zu Karin, in ihren warmen braunen Augen sah ich Hoffnung aufglimmen. Mir brach es das Herz, dass sie etwas so Schreckliches miterleben musste.

"Jedenfalls", fuhr ich fort, "ist jeder eurer Gründe nicht rechtfertigt. Und noch weniger, wenn es um Rache geht. Denn eure Rachsucht zerfrisst und zerstört euch innerlich, hinterlässt nichts als ein tiefes Loch in eurem Herzen, das euch dazu führt, ungewollt Dinge zu tun. Jeder verdient eine zweite Chance."

Ich sah zu Boden, mir fehlten die Worte. Vielleicht waren dies die letzten Sätze vor der Zerstörung der Welt und der Menschheit gewesen.

Und ich trug die Schuld.

Dann fing einer nach dem anderen an, die Waffen niederzulegen, sodass die Königin fassungslos mit offenem Mund zusehen musste, wie sich ihre Armee gegen sie wendete. "Nein!", keifte sie, "lasst euch nicht von diesem verdorbenen Mädchen in die Irre führen!" Blitzschnell richtete sie die Waffe auf mich, und ich kneifte meine Augen zu, in der Erwartung, getroffen zu werden.

Doch nichts geschah.

"Eure Majestät, hört auf! Erkennen Sie denn nicht, dass dieses Menschenmädchen Recht hat?" Hasi hatte sich vor mich gestellt und versuchte, die Königin zu beschwichtigen. "Falls Ihnen unser Leben am Herzen liegt, wir haben es satt, uns ausschließlich von spröden Getreide zu ernähren. Außerdem sehe ich keinen Vorteil darin, die Erde zu erobern, denn wie sollten wir, die keine Ahnung von Landwirtschaft haben, alles unterhalten?"

"Alles Lüge, ihr seid alle Feiglinge!", rief die Königin, während sich ihr Gesicht vor Zorn rot verfärbte. "Ich wollte meinem Volk ein besseres Leben bieten, und ihr lasst mich einfach sitzen? Ist dies etwa der Dank dafür, dass ich euch über eine solch lange Zeit geholfen habe?"

Karin räusperte sich, überrascht wandte sich die Königin meiner Schwester zu. Diese lächelte sie an und setzte der verblüfften Osterhasenkönigin einen wunderschönen Blumenkranz auf, den sie schon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte.

"Sie könnten mich jederzeit erschiessen. Das ist mir bewusst, doch ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Nicht, weil ich keine Angst vor dem Tod habe, nein, die ist jetzt noch präsent, sondern weil ich tief hier drin" - Karin legte ihre Hand aufs Herz - "weiss, dass auch Sie ein Herz besitzen. Zeigen Sie es. Und sehen Sie, was sie Wunderbares damit erreichen können, anstatt Schaden anzurichten."

Gerührt schnappte die Königin nach Luft und wischte mit einer Handbewegung die Tränenspuren auf ihren Wangen weg. Auch ich musste mich zusammenreissen, nicht vor Stolz den Tränen freien Lauf zu lassen. Ein zögerliches Lächeln erschien auf dem Gesicht der Königin und liessen es sogleich viel weicher wirken. "Solch ehrliche Worte habe ich noch nie von einem Menschen gehört, anscheinend gibt es auch Bessere eurer Art…"

Bestätigendes Nicken kam von den restlichen Osterhasen. Seufzend liess die Königin ihre Waffe sinken. "Naja... Vielleicht hast du Recht. Doch nie im Leben werden Osterhasen und Menschen zusammenleben können, dafür unterscheiden wir uns zu sehr. Aber zurück in unseres tristes Leben kommt gar nicht in Frage."

Da meldete sich Karin mit einem Grinsen: "Ich habe eine Idee."
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(eine Woche später)

Auf dem Rücken liegend sog ich den frischen Duft der Wiesenblumen ein und starrte gedankenverloren in den Himmel, währenddessen die Abenddämmerung Einzug hielt und die Sonne ihre letzten Lichtstrahlen abgab. Ich spürte Karins Anwesenheit neben mir und lächelte, wohlwissend, dass wir an das Gleiche dachten. "Denkst du, sie sind jetzt glücklich?", murmelte meine kleine Schwester und schloss ihre Augen. "Bestimmt", erwiderte ich, "denn sonst wären sie längst auf dem Rückweg, um uns umzulegen."

Karins Einfall war einfach genial, und ich wunderte mich, weshalb wir erst so spät auf eine Lösung gestossen waren. Nachdem die Osterhasen ihre Raumschiffe an einen etwas abgelegeneren Ort gebracht hatten riefen Karin und ich eine Versammlung der ganzen Nachbarschaft ein. Als Grund gaben wir ein Fest zu Ehren der Osterhasen an, mehr verrieten wir nicht. Erstaunlicherweise kamen mehr Leute als gedacht, sodass wir auf den grossen Marktplatz umziehen mussten.

Karin hielt eine Rede, in der sie die Freuden der Ostertage betonte und alle Anwesenden fast zum Weinen brachte. Sie erzählte die Lebensgeschichte der Osterhasen, über ihre Enttäuschung, in Stich gelassen zu werden. Zuerst waren alle verwirrt, denn sie wussten nicht, wovon Karin sprach. Doch dann trat die Königin vor, ihre Körperhaltung anmutig, ihr Gesichtsausdruck schüchtern. Die Restlichen folgten ihr, sodass eine ganze Gruppe lebendiger Osterhasen auf der Bühne standen.

Die Menschen schnappten erschrocken nach Luft, man hörte erstaunte Ausrufe und konnte den Schock in den Gesichtern lesen. Zum Glück kam es aber zu keinerlei Ausschreitungen GEGEN uns oder die Osterhasen.

Als sich dann alle wieder beruhight hatten, fuhr Karin mit ihrer Rede fort. Sie betonte, dass die Osterhasen keine bösen Absichten gegen uns hegten, sondern, im Gegenteil, unsere Hilfe dringend brauchten. Schweigend breitete sich in der Menge aus, viele waren unentschlossen, zwei Kindern und einer Horde lebendiger Osterhasen zu glauben.

Dann begann einer nach dem anderen nach Hause zu gehen.

Enttäuscht wollte ich mich ebenfalls abwenden, da keine Unterstützung zu erwarten war, doch dann kehrte einer nach dem anderen mit einem riesigen Korb zurück, in dem sich unter anderem frisches Obst und Gemüse befanden, andererseits auch unterschiedliche Variationen von Samen. Manche trugen auch Erde und Dünger dazu bei, andere, vor allem Kinder, entbehrten Spielzeug und flauschige Decken, die sie mit grossen Augen den gerührten Osterhasen übergaben.

Schlussendlich hatten wir eine riesige Menge an lebensnotwendigen Sachen gesammelt, mit denen die Osterhasen ihre eigene Landwirtschaft aufbauen konnten und somit sicherlich mehrere Jahre überleben konnten. Mit voll geladenen Raumschiffen flogen sie gen Himmel, nicht ohne uns zuzuwinken, bevor sie ihre unsichtbare Hülle aktivierten.

Und weg waren sie.

Man könnte sich Sorgen machen, dass das Geheimnis der Osterhasen in der ganzen Welt verbreitet werden würde, doch auch daran hatten wir zum Glück gedacht. Nachdem wir die Einwilligung aller Menschen hatten, löschten wir ihr Gedächtnis. Sie würden sich nicht mehr an lebendige Osterhasen erinnern können, doch das war besser so.

Karin und ich wurden verschont, doch auch wir schworen, Stillschweigen über das geheime Leben der Osterhasen zu bewahren. Insgeheim freute ich mich darüber, Teil eines so grossen Geheimnisses zu sein.

Seufzend kehrte ich ich zurück in die Gegenwart und sah Millionen von funkelnden Sternen, unzählige Längen weit von uns entfernt, aber trotzdem so nah, dass ihr strahlendes Licht auch uns erreichte. Unwillkürlich musste ich lächeln und sah zu Karin, auf deren Lippen ebenfalls ein Lächeln erschien.

"Auf die Osterhasen", murmelte ich. Karin kicherte. "Und auf unvergessliche Ostern!"

 Re: D. O. I. Teil 3
Autor:
 Equestrice (Profil)
Datum:
 15.05.2018 18:28
Bewertung:
 

Ich habe beim Stöbern von einigen alten Kurzgeschichten gemerkt, dass ich das versprochene Finale für mehr als ein Jahr hinausgezögert habe. Nun habe ich mich gezwungen, "Die Osterhaseninvasion" abzuschliessen (obwohl vermutlicherweise alle nicht mehr genau wissen, was bisher passiert ist) Naja ich hoffe der Schluss ist mehr oder weniger in Ordnung 8-)

 Re: D. O. I. Teil 3
Autor:
 Nasobem (Profil)
Datum:
 17.05.2018 14:34
Bewertung:
 

Endlich das große Finale!
Frage: Was machen die Osterhasen, wenn das Essen alle ist? Kommen sie dann zurück?

...Ich will irgendein episches Zitat schreiben, das passt, aber mir fällt nichts ein...

 Re: D. O. I. Teil 3
Autor:
 nightdragon (Profil)
Datum:
 20.05.2018 16:45
Bewertung:
 

Yay! Ich mochte diese Geschichte, schön, dass du sie noch fertig geschrieben hast!
Nasobem: Sie haben ja auch Samen und Dünger mitgenommen. Fragt sich nur, ob das auf ihrem Meteoriten was bringt ?:-|